16. Die Schönheit der Demut
1. Die Demut macht uns nicht nur bei unseren Mitmenschen beliebt und angenehm, sie ist auch schön in sich selbst. Sie ist das beste Mittel, Gott ähnlich zu werden; Sein Bild in uns kann nicht vollkommen sein, so lange in unserem Herzen noch ein Gefühl von Stolz sich regt. Wenn aber wahre Demut dieses verwerflichste aller Laster aus unserem Herzen vertrieben hat, können wir uns rühmen, Gott ähnlich zu sein. Wir nehmen gleichsam teil an der Schönheit und Liebenswürdigkeit Gottes, sind ein Gegenstand der Bewunderung für die heiligen Engel, ja für Gott selbst, der dann zur Seele nach den Worten des göttlichen Bräutigams spricht: "Du bist ganz schön meine Freundin, und keine Makel ist an dir."
2. Die Demut ist aber auch schön, weil sie fast alle Tugenden im Gefolge hat. Jan man kann mit Recht sagen, daß sie die Schönheit der Tugenden in sich begreift. Von einem Demütigen wissen wir, daß er geduldig, liebreich, selbstlos, edelmütig, gehorsam ist, und wir können nicht umhin, ihn zu bewundern, zu lieben. Rührt nicht bei mir der Mangel an so vielen Tugenden von dem Mangel an Demut her? O mein Gott, pflanze in mein Herz diese unersetzliche und zugleich so anziehende Tugend!
3. Nichts macht uns dem Gottessohn so gleichförmig als die Demut. "Lernet von mir, ich bin sanftmütig und demütig von Herzen." O ja, lernen wir diese liebenswürdigste der Tugenden von unserem göttlichen Lehrmeister, von ihm, dessen Seele schöner war als alle Seelen der Menschenkinder, weil keine so demütig war, wie sie.
entnommen aus: Die Schule der Demut, R. F. Clarke SJ, Imprimatur Münster, 27. Februar 1900