9. Demut in der Unterhaltung
1. Unser Herr sagt uns, daß wir von jedem unnützen Wort Rechenschaft geben müssen. Nun offenbart es sich aber gewöhnlich in unseren Reden, ob wir demütig oder stolz sind. Der Stolze strebt danach, den Ton in der Unterhaltung anzugeben, das erste Wort zu führen - der Demütige ist zufrieden, in den Hintergrund gestellt zu werden! Der Stolze wird beleidigt, wenn man ihm nicht zuhört; der DEmütige nimmt es ruhig hin als eine Demütigung, die er, als von Gottes Hand kommend, willkommen heißt. Zeige ich nun in der Unterhaltung, daß ich vom Geiste des Stolzes oder der Demut beseelt bin?
2. In den Gesprächen des Stolzen offenbart sich gewöhnlich viel Eigenlob und Selbstgefälligkeit. Er spricht meistens von sich, was er gesagt und getan hat, und das alles in einem Tone der Selbstzufriedenheit, die er mehr oder weniger verschleiert. Der Demütige dagegen scheint sich selbst zu vergessen, er denkt nur an das, was seine Zuhörer interessieren könnte - und alles dieses weil er um Gottes willen andere unterhalten und erfreuen will. Übe und pflege diese Demut in der Unterhaltung; es wird dich bei Gott und den Menschen beliebt machen!
3. Besonders aber können wir den Unterschied zwischen Stolz und Demut wahrnehmen, wenn wir auf Widerspruch stoßen. Da sieht man hier die Sanftmut des Demütigen, da den Unwillen des Stolzes, die Geduld des einen, die eitlen Bemühungen des andern, sich Recht zu verschaffen. Als schönstes Vorbild dient uns die vollkommene Demut der Gottesmutter zu Kana. Bei der anscheinend harten Antwort ihres Sohnes sprach sie kein Wort der Selbstrechtfertigung, empfahl aber den Dienern an, ihrem Sohne unverzüglichen Gehorsam zu leisten.
entnommen aus: Die Schule der Demut, R. F. Clarke SJ, Imprimatur Münster, 27. Februar 1900