2. Die Pflicht der Demut
1. Ein jeder Christ ist verpflichtet, seinem Stande und Berufe entsprechend, in die heiligen Fußstapfen seines Heilandes zu treten und Christi Leben zum Vorbilde seines eigenen zu machen. Im Leben des Sohnes Gottes ist aber ein besonders wunderbarer Zug - jene heilige Demut. Ja, daß der allmächtige Gott niedrige Menschengestalt annahm und in das Tal unserer Niedrigkeit herabstieg, ist ein Wunder der Demut, das unsere Fassungskraft ganz und gar übersteigt. Diese Demut während des Lebens des Gottessohnes ist eine Seiner hervorragenden Tugenden, und in dem Maße als wir uns demütigen, werden wir dem menschgewordenen Heilande nachzuahmen suchen.
2. Unser Heiland ist nach der Ansicht des heiligen Augustinus nicht damit zufrieden gewesen, uns durch Sein Beispiel Demut zu lehren; Er gibt uns auch ein ausdrückliches Gebot der Demut. "Lernet von Mir, Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig." Unter den Tugenden, die Seine Auserwählten von ihm lernen sollen, steht die Demut obenan. Sie verlangt Er, wenn wir ihm ähnlich werden wollen. Wie gleichgültig, wie ungehorsam habe ich mich gegen des Heilands Gebot gezeigt! Kann ich sagen, daß ich die Lehre der Demut verstanden, daß ich sie geübt habe?
3. Wir sind auch zur Übung der Demut verpflichtet als Kinder der katholischen Kirche. Demut und Unterwürfigkeit ist eine Grundbedingung zur Annahme ihrer Lehre, Unterwerfung gegen Gott, gegen die gesetzliche Obrigkeit, Unterwerfung des Willens und Urteils gegenüber den Dogmen des Glaubens. - Jener, der sich nicht unterwerfen will, ist kein wahrer Katholik; es gibt aber keine Unterwerfung ohne Demut. Prüfe dein eigenes Herz, ob du dich um Christi willen in Demut unterwerfen kannst!
entnommen aus: Die Schule der Demut, R. F. Clarke SJ, Imprimatur Münster, 27. Februar 1900