Sonntag, 9. Mai 2021

Gebet von der Erschaffung des Menschen und seinem bedauernswerten Falle

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Ich preise Dich und sage Dir Dank, heiligste Dreifaltigkeit und untrennbare Einheit, Vater, Sohn und Heiliger Geist, einzig wahrer, allmächtiger Gott, der Du die unaussprechliche Freigebigkeit Deiner Güte dartun wolltest. Darum hast Du im Anfang Himmel und Erde erschaffen, das Meer und alles, was darin ist. Von den übrigen Geschöpfen  aber hast Du zu besonderer Ehre und würde den Menschen erhoben, nach Deinem Ebenbild und Gleichnis. Du gabst ihm ja Herrschergewalt und Macht, Verstand und Weisheit, Leben und Unschuld.
Ich rühme und verherrliche Dich wegen jener überaus großen Gabe, daß Du den Menschen im Paradiese mit überfließender Wonne beschenkt hast. Er hatte ja die höheren Güter zum Genusse, die niederen zur Beherrschung; alles aber zum Besitze, daß er ohne Ende Dich lobe.
Ich preise und ehre Dich, gütigster Gott, wegen Deiner gar großen Erbarmung und Deiner unsagbaren Barmherzigkeit, daß Du den Menschen, der sündigte und all Deiner Wohltaten sich unwürdig erwies, trotz seines nicht wiedergutzumachenden Vergehens dennoch geschont hast. Seiner Schuld wegen hast du ihn, auf daß er Buße tue, aus dem Garten der Wonne verwiesen. Für seine Übertretung war er der ewigen Verdammnis verfallen und konnte keine Verzeihung erwarten. Du aber hast trotz allem nicht die Strenge der Gerechtigkeit walten lassen, sondern die Milde Deiner unaussprechlichen Barmherzigkeit. Die Last würdiger Buße hast Du ihm auferlegt, und nach langer Zeit spendetest Du das öl heißersehnter Vergebung. So ist es geschehen, daß die vernünftige Kreatur, die durch eigene Bösheit in Schuld verfiel, durch Deine Gnade gerettet wurde.
So muß jedwede gläubige Seele Dir Dank sagen. Nicht auf eigenen Kraft kann sie vertrauen, noch der Gerechtigkeit ihrer eigenen Verdienste sich rühmen.
Deine Geschöpfe sind wir, mein Gott, und durch Deine Güte bestehen wir. Durch Deine Freigebigkeit empfingen wir, was wir besitzen. Durch unsere Bosheit aber fallen wir schnell und versagen, und würden wir nicht immer wieder durch Deine Barmherzigkeit geschützt, aufgerichtet und gestärkt, wir würden zu immer schlimmeren Dingen kommen und in Bosheit uns verzehren.
Deine Erbarmungen, gütigster Gott, erflehen wir deswegen. Die Fülle Deine Milde führen wir uns vor Augen, überdenken sie in Freude und preisen sie laut. ein frommes Lobopfer bringen wir danksagend Dir dar für die Füller der uns erwiesenen Barmherzigkeit, die uns ungeratenen, der Sünde verkauften Söhnen so reichlich zuteil werden ließest.


entnommen aus: Thomas von Kempen - ein deutscher Mystiker - Leben und ausgewählte Schriften, Carl Richstaetter SJ, Imprimatur, 22.März 1939