11. Demut und Neugierde
1. Oberflächlich betrachtet, scheint die Neugierde mit Mangel an Demut nichts zu tun zu haben; treten wir der Sache aber etwas näher, so werden wir finden, daß Neugierde der Demut sehr entgegen ist. Die sich um alles kümmern, was sie nichts angeht, haben in der Tat den Geist wahrer Demut noch nicht erlangt. Ist es doch der sanften, friedlichen Natur des Demütigen so fern, sich stets um das Tun und Lassen seiner Mitmenschen ohne guten Grund zu kümmern; denn solches führt zum Kritisieren, zum vorschnellen, freventlichen Urteilen, zur Unzufriedenheit mit sich und andern; es macht den Geist zerstreut und hält ihn durch eine ungesunde, nutzlose Beschäftigung ab von wahrer Pflichterfüllung.
2. Neugierde ist nicht zu verwechseln mit Wißbegierde; dies darf sich aber nur erstrecken auf Dinge, die uns im Guten weiter bringen. Was aber geht uns sonst das Tun und Lassen unseres Nächsten an? Wir sagen vielleicht unser Einfluß auf denselben würde erhöht. Leider ist's kein guter Einfluß, den wir dadurch ausüben. Wohl mögen wir uns mit einem Schein von Wichtigkeit und Überlegenheit umgeben, uns einzubilden, von andern deswegen geachtet zu werden; allein, es ist dies unserer Demut sehr gefährlich und entfremdet uns überdies die andern, macht uns mißliebig und gefürchtet.
3. Neugierde geht sehr oft aus Stolz hervor. Als Eva sich in stolze, auflehnende Gedanken gegen Gott eingelassen hatte, regte sich in ihr der Wunsch, etwas zu wissen, was Gott verboten hatte. Die Neugierde ist nicht selten eine Brücke zwischen dem Stolz und andern Sünden, übeln Nachreden, Lügen und Verleumdung, besonders aber führt sie zu Sünden gegen den Glauben und die heilige Reinheit. Prüfe dich, ob nicht auch du eitle Neugierde in dir zu ertöten hast!
entnommen aus: Die Schule der Demut, R. F. Clarke SJ, Imprimatur Münster, 27. Februar 1900